Carsten Sann

Zu guter Letzt … (Mai 2024)

„Blut ist dicker als Wasser“ – der Bedeutung dieser Redewendung ist sich wohl jeder von uns bewusst. Das Problem dabei ist, dass aller Wahrscheinlichkeit nach Ihre Interpretation nicht nur falsch ist, sondern sogar den eigentlichen Sinn ins Gegenteil verkehrt. Wie bitte?

Bis vor nicht allzu langer Zeit war ich der Meinung, dass dieses Sprichwort bedeutet, dass Blutsbande stärker sind (und sein sollten) als alle anderen Arten von Beziehungen. Dann bin ich über einen Post in den sozialen Medien gestolpert. Dort wurde behauptet, dass die Herkunft der Redensart belegt, dass sie genau das Gegenteil meint, also dass im Laufe des Lebens entstandene Beziehungen stärker und wichtiger sein können als Verwandtschaftsverhältnisse.

Ich neige dazu, Dinge, die mir über den Weg laufen und mich aufhorchen lassen, sehr kritisch zu prüfen und zu hinterfragen. Deshalb habe ich mir die Zeit genommen, auch zu diesem Sachverhalt meine eigenen Recherchen anzustellen. Überraschenderweise scheint es relativ unstrittig zu sein, dass diese, mir neue Bedeutung des Sprichworts dem entspricht, was ursprünglich gemeint war.

Blutsbrüderschaft und Fruchtwasser

Es gibt zwei grundlegende Theorien, woher die Redewendung stammen soll. Die erste verweist auf einen Ursprung in der englischen Sprache, wo der Wortlaut „The blood of the covenant is thicker than the water of the womb“ gewesen sein soll. Übersetzt bedeutet es: „Das Blut des Bundes ist dicker als das Wasser des Mutterleibs“. Dieses Sprichwort benutzte man erstmals im mittelalterlichen Europa. Man bezog sich auf die Bedeutung von gemeinsamen Erfahrungen und Abenteuern in Kriegszeiten, die stärkere Bindungen schaffen konnten als biologische Verwandtschaft.

Die zweite Theorie bezieht sich auf das Alte Testament. In dessen Entstehungszeit wurden Verträge mit Tierblut besiegelt und die Aussage war, dass ein mit Blut geschlossener Vertrag schwerer wiegt als das (Frucht-) Wasser, das uns mit unserer Familie verbindet. Auch hier wieder das Gegenteil von dem, was ich bisher geglaubt habe. Man lernt wirklich nie aus!

Muss ich meine Eltern lieben?

Wir alle kennen den Onkel, den Cousin oder die Großtante, die wir nicht wirklich mögen und dieser Person auch bei Familienfesten aus dem Weg gehen. Was aber, wenn es um die Großmutter, den Vater oder die eigene Schwester geht? Sind wir verpflichtet, jemanden zu lieben, nur weil wir mit ihm verwandt sind?

In früheren Zeiten war der Zusammenhalt in einer Familie auch eine Frage des Überlebens. Wer auf sich alleine gestellt war, hat oft nicht lange gelebt. Völlig nüchtern betrachtet war also das Kosten-Nutzen-Verhältnis so, dass es besser war, emotionalen Schmerz und Verletzungen auszuhalten als das körperliche Überleben aufs Spiel zu setzen.

Heute ist unser Leben nicht mehr in Gefahr, nur weil wir vielleicht auf uns alleine gestellt sind. Natürlich ist dennoch niemand gerne wirklich alleine, aber um unser Bedürfnis nach sozialen Kontakten zu befriedigen, braucht es nicht unbedingt die Familie. Dementsprechend ist das, was über so lange Zeit eine Art Schicksalsgemeinschaft war, ein Stück weit optional geworden.

Die gesunde Familie ist das Fundament für ein glückliches Leben

An dieser Stelle möchte ich klarstellen, dass ich ein großer Verfechter der Familie als Keimzelle der Gesellschaft bin. Es gibt kein besseres Fundament für ein glückliches und erfülltes Leben als stabile Familienbande und deshalb sind diese auch wirklich erstrebenswert und sollten gepflegt werden. In der Realität ist es jedoch immer wieder so, dass das schlicht nicht funktioniert oder der Preis in Bezug auf unsere emotionale oder psychische Gesundheit zu hoch ist.

Es ist offensichtlich, dass ein Kind, das von einem Elternteil körperlich missbraucht worden ist, jedes Recht dazu hat, seine(n) Peiniger(in) nicht zu lieben. Gleiches gilt für Menschen, die emotional oder psychisch missbraucht wurden. Jedoch muss die Grenze zum Missbrauch – wo liegt die eigentlich? – nicht überschritten sein, um dafür zu sorgen, dass eine herzliche Beziehung zu nahen Verwandten nicht möglich ist. Und wer in dieser Situation ist, hat wahrscheinlich auch am eigene Leib erfahren, wie quälend es sein kann dem inneren und manchmal auch äußeren Druck standzuhalten – „Jetzt reiß dich doch mal zusammen! Es ist schließlich dein Vater/deine Mutter/deine Schwester/dein Bruder …“

Aus systemischer Sicht ist eine Aussöhnung zwischen den Mitgliedern in einem Familiensystem immer erstrebenswert. Oft wird das jedoch missverstanden. Es geht nicht immer darum, dass man sich ausspricht und anschließend schluchzend in den Armen liegt, auch wenn das durchaus möglich ist. Bei Personen, die nicht mehr leben, geht das offensichtlich nicht, aber manchmal, vielleicht gar nicht so selten, ist das auch bei lebenden Verwandten weder möglich noch nötig.

Verantwortung übernehmen heißt frei werden

Wenn wir uns auf den Weg der Heilung unserer seelischen Wunden begeben, ist ein wichtiger Teil des Prozesses, dass wir die Verantwortung für alles übernehmen, was wir getan oder unterlassen haben, aber auch die Verantwortung für alles, was uns zugestoßen ist. Damit meine ich nicht, dass wir in irgendeiner Form „selbst daran schuld“ sind, sondern ausschließlich, dass wir anerkennen, dass das Schlimme geschehen ist, dass wir es nicht mehr rückgängig machen können und dass wir selbst die Verantwortung dafür tragen, wie wir damit umgehen.

In dem Moment, in dem wir diese Verantwortung übernehmen, geschieht etwas Fantastisches: Niemand auf der Welt, und insbesondere nicht die Person, die uns verletzt hat, kann mehr verhindern, dass wir unsere Wunden heilen. Und das ist alles, worum es auf diesem Weg geht. Im Außen kann sich das dann so zeigen, dass tatsächlich eine Versöhnung möglich wird. Aber oft ist es auch einfach so, dass die Person uns schlicht anfängt egal zu sein, was immer noch ein immenser Fortschritt ist.

Wichtig dabei ist jedoch zu verstehen, dass es in der Regel ein notwendiger Teil des Prozesses ist, der Wunde die Ruhe und die Zeit zu geben, um heilen zu können. Je nach persönlicher Situation kann das bedeuten, den Kontakt zu den Personen, die uns verletzt haben, auf ein Minimum einzuschränken oder sogar ganz einzustellen. Und das gilt selbstverständlich auch für Eltern, Kinder und Geschwister. Wir haben inzwischen die Freiheit das zu tun.

Ein Schritt in der Evolution der Menschen

Die Menschen und die Gesellschaft entwickeln sich immer weiter und offensichtlich ist aktuell eine Zeit riesiger Transformationen. In meiner Wahrnehmung ist die Heilung alter Traumen und Verletzungen ein wesentlicher Teil dieses Veränderungsprozesses. Deshalb sollten wir diesen Aspekt ernst nehmen und unseren Beitrag leisten. Und stellen Sie sich nur einmal vor wie die Welt aussehen mag, wenn immer mehr Menschen ausgeglichener und stabiler sind, Stück für Stück ihre sprichwörtlichen roten Knöpfe deaktivieren und vom Ego gesteuerte Machtspielchen auf allen Ebenen beginnen zu verschwinden.

Bei der Entwicklung der Essenzen der Trailblazer Support Serie zusammen mit Ann Callaghan (Indigo Essences) und Katrin Remmelberger hat das Thema Auflösung toxischer Beziehungen sich so stark gezeigt, dass es eine eigene Essenzenmischung bekommen hat. Sie trägt den Namen „Sense of Self Stability“ und Sie finden die Informationen dazu in unserem Shop. Die Essenz ist eine große Hilfe, wenn man gerade mit so einem Prozess beschäftigt ist.

Bei allem gegenwärtigen Chaos in der Welt sind wir heute in der glücklichen Lage, selbst bestimmen zu können, wer zu unserer „Seelenfamilie“ gehört. Es braucht manchmal viel Kraft und Mut, sich von Menschen zu trennen, die uns auf Dauer nicht gut tun. Es ist jedoch lohnenswert Beziehungen, die sich nicht unterstützend anfühlen, zu erkennen, auf den Prüfstand zu stellen und, wenn es keine andere Lösung gibt, zu beenden. Wir erhalten dadurch die Freiheit, uns auf die Menschen zu fokussieren, mit denen wir gerne zusammen sind, und erschaffen den Raum für neue, für alle Beteiligten konstruktive Beziehungen.

Liebe Grüße aus Aschaffenburg
Carsten Sann
Der Essenzenladen

Carsten Sann

Carsten Sann ist Gründer und zusammen mit seiner Frau Inhaber des Essenzenladens. Er hat sich in seinem Leben schon mit einer Reihe unterschiedlichster Professionen beschäftigt und war unter anderem Tanzlehrer, IT Spezialist und Kinesiologe. Er beschäftigt sich seit 20 Jahren intensiv mit Blütenessenzen aus aller Welt. Er ist deutscher Distributor und Lehrer für viele der bekanntesten Essenzenhersteller und spricht in seinem Essenzenpodcast über sein Lieblingsthema: Die Anwendung von Blütenessenzen

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